Groß und erhaben sind die 150 Psalmen im Alten Testament. Als Benedikt von Nursia um 529 seine Regula schrieb, waren für ihn die damals bereits 1500 Jahre alten Gebetstexte der eigentliche Wurzelgrund des Mönchtums. Der Gottesmann Benedikt war nicht nur durch seine Lebensweise zu einer Leitfigur geworden, sondern lehrte durch das Wort seiner
Mönchsregel, die sich durch weise Mäßigung und verständliche Darstellung auszeichnet. Wer seine Tugend und sein Leben kennenlernen will, kann in der Unterweisung der Regel alles finden, was er als Lehrer selbst übte; denn der heilige Mann konnte unmöglich anders lehren, als er lebte.
Gregor der Große: Dialoge II,36
So legte Benedikt im Ora et labora, der Kurzfassung seiner 73 Kapitel der Regula, besonderen Wert auf die Ordnung der Gebetszeiten mit den Psalmen, durchdrungen vom Bewusstsein der Gegenwart Gottes – die biblische Mahnung ernst nehmend, ohne Unterlass zu beten (vgl. 1 Thes. 5,17). Zu bestimmten Zeiten sollen sich die Mönche zum gemeinsamen Gotteslob zusammen finden.
Wie harmoniert das Rosenkranzgebet mit der Benediktsregel?
Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden.
Benediktsregel, Kap. 43,3
So müht sich der Mönch, „Herz und Stimme in Einklang zu bringen“ (RB 19,7) und das ganze Leben auf Gott auszurichten. Die Kapitel acht bis 20 der Regel des heiligen Benedikt sprechen vom gemeinsamen Gebet, der Ordnung der Laudes, den Zeiten für das Halleluja und dazwischen der Einteilung der Psalmen und der Ehrfurcht beim Gebet.
In Kapitel 18 heißt es: „Doch achte er unter allen Umständen darauf, dass jede Woche der ganze Psalter mit den 150 Psalmen gesungen und zu den Vigilien am Sonntag stets von vorne begonnen wird.“ So weit, so gut; so weit, so sehr gut! Benedikt legt sich bei der Gebetseinteilung aber nicht fest: „Wir machen ausdrücklich auf folgendes aufmerksam: Wenn jemand mit dieser Psalmen-Ordnung nicht einverstanden ist, stelle er eine andere auf, die er für besser hält.“
Jahrhunderte vergingen, das Mönchtum wurde nach der Jahrtausendwende vor neue Fragen gestellt, Latein war zur Sprache der Gelehrten und Mönchspriester geworden, die benediktinischen Reformklöster wie die Zisterzienser nahmen „Laien“ in ihre Reihen auf als Brüder, Laienbrüder oder Conversen. Was und wie sollten diese beten? Ihnen allen war Latein eine Fremdsprache und sie spürten: Menschen tätigen die tiefsten Dinge ihrer Herzen in der Muttersprache: Das Weinen, das Lachen und das Beten.
Neben den Benediktinern tasteten nun die neuen Orden, die Kartäuser, Franziskaner und Dominikaner nach Gott, mit je eigenen, neuen Ordensregeln, alle aber in Bezug auf die Regula Sancti Benedicti. Und die Zahl 150 von den Psalmen-Gebeten her war allen fundamental – auch bei den Brüdern.

Wie entwickelte sich das Rosenkranz-Gebet aus dem Psalmen-Gebet?
Das Rosenkranzgebet aus der frühmittelalterlichen Gebets-Weise, bei welcher zunächst das „Vater unser“ (anhand einer Paternosterschnur) und ab dem 11. Jahrhundert zunehmend das „Gegrüßet seist du Maria“ 150 Mal in Zehnergruppen gegliedert wiederholt wurde. Petrus Damiani (1006-1072) hatte die Form des Ave Maria aus zwei Teilen geschaffen, zunächst der Engelsgruß aus dem Lukas-Evangelium im Wortlaut: „Ave Maria, gratia plena. Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus.“‚ (Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden. Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen). Dann folgt der Gruß von Elisabeth: „Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“
Als im 12. Jahrhundert der Brauch in Klöstern aufkam, dass die Brüder statt des Vater unser-Psalters jetzt 150 „Gegrüßet seist du Maria“ beteten als Ersatzgebet für die Psalmen, gab man dieser Gebetsform den Namen: Marienpsalter. Durch den Kartäuser Heinrich von Kalkar (1328-1408) kam die Gewohnheit auf, fünf mal zehn Ave Maria zu beten, jeden Zehnerblock mit einem „Vater unser“ zu beginnen und mit der Doxologie (Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist…) zu beenden.
Die heutige gebräuchliche Form des Rosenkranzes entstand im Advent 1409. Der Trierer Kartäuser-Novize Dominikus von Preußen (gest. 1460) fragte seinen Novizenmeister, wie er seine für ihn schwierige Situation, so oder gar 150 mal ein Ave hintereinander zu beten, bewältigen solle. Der Novizenmeister gab ihm den praktischen Hinweis, am Ende des Gebetes, die Ereignisse des Lebens Mariens und Jesu in verschiedene Schluss-Sätze (Clausulae) zusammenzufassen und diese dann an das Ave Maria anzuschließen.
Adolf von Essen, ebenfalls aus dieser Kartause, ein helfender Mitbruder, verkürzte auswählend die über 50 Clausulae des Dominikus auf 15, wiederum bei einer Zehnerzahl der Ave Maria, 15 mal 10, also auf 150, den 150 Psalmen entsprechend. So ist der Kartäuser Dominikus von Preußen der eigentliche Urheber des heutigen Rosenkranzes mit den von ihm eingefügten 15 Geheimnissen.
Weit verbreitete sich die von Alanus de Rupe um 1468 zuerst verbreitete Legende, dass der heilige Dominikus, Gründer des Dominikanerordens, die heutige Form des Rosenkranzes 1208 bei einer Marien-Erscheinung empfangen und sie in seinem Orden eingeführt haben soll. Die Legende erzählt, dass Maria den Rosenkranz dem heiligen Dominikus als Waffe im Kampf gegen die Albingenser geschenkt habe. Im Kloster Beuron ist dies ebenfalls so am barocken Benediktus-Altar in einem Gemälde dargestellt.
Der Rosenkranz in der kirchlichen Tradition
In seiner Bulle „Ea quae“ vom 9. Mai 1479 empfahl Papst Sixtus IV. das tägliche Beten des Rosenkranzes. Erst 1508 wurde dem Ave Maria nach dem Namen „Jesus“ und dem „Geheimnis“ die Bitte „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder“ hinzugefügt. In seinem Breve „Consueverunt“ vom 17. September 1569 legte Papst Pius V. den Text des Ave Marias endgültig fest und regelte die Form des Rosenkranzgebetes für die ganze Kirche.
Auch die Päpste der folgenden Jahrhunderte stellten dies Gebet immer wieder in diversen Schriften den Gläubigen vor Augen. Am 7. Oktober 1571 besiegte die katholische Seestreitmacht unter Juan de Austria die türkische Mittelmeerflotte in der Seeschlacht von Lepanto. Der Sieg wurde dem „Gebetssturm“ zugerechnet, bei dem in ganz Europa im Vorfeld der Seeschlacht das Rosenkranzgebet gebetet wurde. In der Folge stiftete Papst Gregor XIII. 1573 das Rosenkranzfest als Gedenktag Unserer lieben Frau vom Sieg und fügte es in den liturgischen Kalender ein.
Nach dem Sieg über die Türken bei Peterwardein am 5. August 1716 erhob Papst Klemens XI. das Fest zu einem Fest der ganzen Kirche, das am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wurde. Papst Pius X. führte diesen Gedenktag mit dem Gedenktag der Allerseligsten Jungfrau Maria vom Rosenkranz (Beatae Mariae Virginis a Rosario) zusammen und legte ihn auf den 7. Oktober fest. Das Fest wird seit 1960 als Fest unserer Lieben Frau vom Rosenkranz begangen. 1884 führte Papst Leo XIII. den Oktober als Rosenkranzmonat ein. Papst Johannes XXIII. empfahl 1959 den Rosenkranzmonat Oktober als Vorbereitung auf das Zweite Vatikanische Konzil. Papst Paul VI. widmete 1969 dem Oktober als Rosenkranzmonat ein „Apostolisches Schreiben“.
Der geistliche Charakter des Rosenkranzgebets
Als „marianische Leben-Jesu-Meditation“ verbindet dieses Gebet Marienverehrung und Christus-Frömmigkeit, die Jesus Christus in seiner Entäußerung und seinem Leiden betrachtet. Der thematische Bogen der christologischen Meditationspunkte reicht von der Verkündigung des Herrn über Geburt, Wirken, Leiden und Sterben Jesu Christi bis zu seiner Auferstehung und der Herabsendung des Heiligen Geistes an Pfingsten.
Am meisten von allen Päpsten der letzten 100 Jahre hat Papst Johannes Paul II. in diese fast 1000-jährige – man meinte für ewige Zeiten zementierte – Gebetsweise eingegriffen. Der Papst erweiterte die bisherigen 15 Geheimnisse im Oktober 2002 anlässlich des 24. Jahrestages seiner Wahl zum Papst mit dem apostolischen Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“auf 20; er fügte eine vierte Fünfergruppe von Rosenkranzgeheimnissen, die lichtreichen, hinzu. In das Wirken des Herrn wird noch tiefer eingedrungen: der von Johannes getauft worden ist | der sich bei der Hochzeit in Kana offenbart hat | der uns das Reich Gottes verkündet hat | der auf dem Berg verklärt worden ist | der uns die Eucharistie geschenkt hat.
Natürlich gäbe es noch viel über das Rosenkranz-Gebet als solches zu sagen; die Bilder der Rosenkranz-Betrachtungen, die ich mit Pastell-Kreide und Filzstiften ob meiner Parkinson-Krankheit mit Zitter-Hand gemalt habe, mögen mit der dazu gehörenden Bibelstelle selbst für dieses wunderbare Gebet sprechen. Täglich darf ich zusammen mit Bruder Michael und Bruder Eugen in unserer Beuroner Gnadenkapelle – an unsere Barockkirche angebaut – vor dem ausgesetzten Allerheiligsten den Rosenkranz, dieses neutestamentliche, marianisch eingehüllte Jesus-Gebet beten, oft müde und zerstreut, aber ich bin da, ich bin bei Jesus und Maria. Das genügt.
Dieser Text stammt aus dem Buch Rosenkranz-Betrachtungen von Pater Notker Hiegl, der für die Online-Veröffentlichung leicht überarbeitet wurde.




